Projekt: Genetische Therapie bei der ALS
Bei der Entwicklung neuer Therapiestrategien kommt der Aufklärung genetischer Faktoren eine besondere Bedeutung zu. Zukünftige Behandlungen zielen darauf ab, genetische Faktoren zu beeinflussen und damit eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufes zu erreichen (genetische Therapie). Ein erster und notwendiger Schritt ist die systematische Erfassung von genetischen Faktoren, die eine ALS auslösen oder begünstigen können.
Bisherige genetische Studien bei ALS-Patientinnen und ‑Patienten zeigten Mutationen in unterschiedlichen Genen:
- Im SOD1-Gen bei 15 % der Erkrankten mit familiärer ALS (Personen mit positiver Familiengeschichte einer ALS) sowie 1,2% von sporadischer ALS Betroffenen (Personen ohne Familiengeschichte mit ALS)
- Mutationen im C9orf72-Gen sind häufiger und wurden bei bisher 6,5% aller ALS-Patientinnen und ‑Patienten berichtet (34% der Personen mit familiärer ALS und 5% der von der sporadischen ALS Betroffenen)
In Deutschland wird das Mutationsscreening in ALS-assoziierten Genen überwiegend Patientinnen und Patienten mit einer gesicherten familiären ALS innerhalb der humangenetischen Regelversorgung angeboten – insbesondere, wenn sie Mutationen auf dem SOD1-Gen und dem C9orf72-Gen tragen.
Bei an sporadischer ALS Erkrankten wurden bisher keine systematischen Analysen zu genetischen Varianten durchgeführt. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen eines Forschungsprogrammes die Infrastruktur geschaffen werden, um eine strukturierte genetische Analyse an verschiedenen ALS-Zentren in Deutschland anzubieten.
Ziel des Projektes
Mit diesem Projekt sollen ALS-Zentren in Deutschland in die Lage versetzt werden, insbesondere bei ALS-Patientinnen und Patienten ohne positive Familienanamnese (sporadische ALS), eine genetische Testung der häufigsten ALS-assoziierten Gene (SOD1, C9orf72, FUS und TARDNABP) anzubieten.
Bisher wurden wenige Erhebungen über den Zusammenhang bestimmter genetischer Varianten durchgeführt. In einer multizentrischen (an mehreren Standorten in Deutschland) Studie soll die Häufigkeit genetischer Varianten identifiziert und eine Korrelation (Wechselbeziehung) mit klinischen Merkmalen untersucht werden. Diese wissenschaftliche Fragestellung könnte in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen, da sich mehrere genetische Therapien in Entwicklung befinden.
Durchführung und aktueller Status
Die Durchführung der molekulargenetischen Analyse der genannten Gene ist kostenintensiv, so dass für diesen Bereich eine Drittmittelfinanzierung durch eine Industriekooperation erfolgt.
Mit der Förderung durch die Boris Canessa ALS Stiftung wird eine Projektentwicklung und ein Studienmanagement (einschließlich der Implementierung einer Studiensoftware) realisiert. Damit wird die Schaffung einer wissenschaftlichen Infrastruktur zur genetischen Testung von mehr als 1000 Patientinnen und Patienten pro Jahr an 14 ALS-Zentren in Deutschland entwickelt und aufrechterhalten.
Aktuell wird ein umfangreiches Ethikkonzept und ein entsprechendes Studienprotokoll sowie ein Analyseplan arbeitet. In weiteren Schritten wird eine Infrastruktur aufgebaut, um Blutproben zur Durchführung einer genetischen Testung in einem spezialisierten humangenetischen Labor zur möglichen.
Nutzen des Projektes
Nutzen für teilnehmende ALS-Patientinnen und ‑Patienten
Personen mit nachgewiesener Mutation kann die Teilnahme an klinischen Studien mit genetischen Medikamenten angeboten werden. Bei genetischen Medikamenten, die sich unmittelbar vor der Zulassung befinden (zum Beispiel gegen Mutationen im SOD1-Gen), erhalten Studienteilnehmende potentiell Zugang zu „Härtefallprogrammen“ („compassionate use program“ oder auch „early access program“ genannt). In diesen Programmen können Medikamente bereits im Zeitraum zwischen dem erfolgreichen Abschluss einer klinischen Studie und der formalen Zulassung eingesetzt werden.
Nutzen für ALS-Zentren
An der ALS-Ambulanz der Charité sowie anderen ALS-Zentren in Deutschland wird die Infrastruktur einer systematischen genetischen Analyse – insbesondere bei Patientinnen und Patienten ohne positive Familienanamnese (sporadische ALS) – gestärkt. Das gilt in besonderer Weise für ALS-Zentren, die bisher über keinen genetischen Arbeitsschwerpunkt verfügten und auf eine externe Unterstützung zur Schaffung der genetischen Teststrukturen angewiesen waren.
Damit kann eine größere Anzahl von Patientinnen und Patienten in den jeweiligen ALS-Zentren identifiziert werden, um ihnen Zugang zu einer genetischen Therapie zu ermöglichen.
Nutzen für den medizinischen Fortschritt bei der ALS
Das Projekt wird dazu beitragen, dass mehr Menschen mit ALS einen Zugang zur genetischen Therapie erhalten. Darüber hinaus wird dieses Vorhaben die Entwicklung neuartiger oder individualisierter genetischer Therapien befördern. Langfristig könnten diese Ergebnisse zu verbesserten Behandlungsleitlinien führen.
Ausblick
Das Projekt wird ab Mitte 2022 eine besondere Relevanz erhalten, da zu diesem Zeitpunkt die Zulassung des ersten genetischen Medikamentes bei der ALS zu erwarten ist. Diese Prognose ist vorbehaltlich des positiven Verlaufes einer derzeit laufenden Phase 3‑Studie mit dem Medikament Tofersen. Dabei handelt es sich um das Arzneimittel des amerikanischen Arzneimittelherstellers Biogen, das gegen Mutationen im SOD1-Gen gerichtet ist.