Digitale Medizin

* Bildinformation

Mus­ku­la­tur bei der ALS, mikro­sko­pi­sche Dar­stel­lung, @Institut für Neu­ro­pa­tho­lo­gie der Cha­ri­té

Ent­wick­lungs­pro­jekt: Digi­ta­le Medi­zin bei der ALS

Die­ses Pro­jekt ist für die Wei­ter­ent­wick­lung kli­ni­scher Stu­di­en bei der ALS sowie zur digi­ta­len Unter­stüt­zung der Ver­sor­gung von ALS-Pati­en­tin­nen und- Pati­en­ten von hoher Bedeu­tung. Die Digi­ta­li­sie­rung kli­ni­scher Stu­di­en bie­tet die Chan­ce, in kür­ze­rer Zeit und mit höhe­rer Effi­zi­enz Stu­di­en­ergeb­nis­se zu erhal­ten. Durch die Digi­tali­sierung eines wich­ti­gen Instru­ments für die Ein­schät­zung der Erkran­kungs­schwe­re und des Krank­heits­ver­laufs — der ALS-Funk­ti­ons­ska­la (ALS Func­tion­al Rating Sca­le; ALS-FRS) — kön­nen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten über eine digi­ta­le Platt­form ihre indi­vi­du­el­len Daten zuhau­se erhe­ben und zur Ver­fügung stel­len. Damit wird es mög­lich, den indi­vi­du­el­len Krankheits­ver­lauf zwi­schen den regu­lä­ren Ambu­lanz­vi­si­ten, auch zwi­schen grö­ße­ren Abstän­den von Ambulanz­terminen oder bei einer Unter­bre­chung der Ambu­lanz­be­treu­ung, zu erfas­sen (Abbil­dung 1). Eine Ver­gleich­bar­keit der Daten ist gegeben.[1]

Lau­fen­de und geplan­te The­ra­pie­stu­di­en beru­hen auf einer Aus­wer­tung der ALS-FRS. Neben der Abschät­zung des indi­vi­du­el­len Krank­heits­ver­laufs ist die ALS-Funk­ti­ons­ska­la für die Unter­stüt­zung von Behand­lungs­ent­schei­dun­gen von Bedeu­tung. In den USA wird die Online-Bewer­tung des ALS-FRS vom ALS The­ra­py Deve­lo­p­ment Insti­tu­te (ALS-TDI), der Platt­form „Patientslikeme.com“ und dem NEALS-Con­sor­ti­um (ALS@Home-Plattform) vor­an­ge­trie­ben.

Ziel des Pro­jek­tes

In Deutsch­land ist es erst­ma­lig mög­lich, über eine digi­ta­le Platt­form (Ambu­lanz­part­ner) den Krank­heits­ver­lauf auf Basis der zuhau­se erho­be­nen ALS-FRS zu erfas­sen. In die­sem Pro­jekt soll die Metho­de der Online-Erfas­sung der ALS-Funk­ti­ons­ska­la bei einer größe­ren Zahl von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten eta­bliert wer­den. In einem wei­te­ren Mei­len­stein soll die Ein­füh­rung der „ALS-App“ – einer Smart­phone Appli­ka­ti­on zur Erhe­bung der ALS-FRS – geför­dert wer­den.

Durch­füh­rung und aktu­el­ler Stand

ALS-Erkrank­te, die sich in einem der ALS-Zen­tren in Betreu­ung befin­den, wer­den ein­ge­la­den, an der digi­ta­len Erfas­sung der ALS-FRS teil­zu­neh­men. Der zeit­li­che Auf­wand liegt bei etwa 10 Minu­ten pro Quar­tal. Die Teil­neh­merinnen und Teil­neh­mer wer­den gebe­ten, den Online-Fra­ge­bo­gen zur ALS-FRS zu beant­wor­ten. Bei der ALS-FRS sind 12 Fra­gen zu beant­wor­ten. An der Online-Bewer­tung des Krank­heits­ver­laufs über die ALS-FRS neh­men mehr als 750 ALS-Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten von 14 deut­schen ALS-Zen­tren teil. Somit betei­li­gen sich etwa 10 % aller Men­schen mit ALS, die sich in Deutsch­land behan­deln las­sen, an der Online-Erhe­bung des ALS-FRS.

Durch die Eta­blie­rung der Online-Erhe­bung der ALS-Funk­ti­ons­ska­la konn­te die umfang­reichs­te digi­ta­le ALS-Kohor­te in Euro­pa geschaf­fen wer­den. Auf Basis der hohen Zahl von Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern und der ver­bind­li­chen Daten ergibt sich ein sehr gutes In­stru­ment für die Ent­wick­lung neu­er Ver­sor­gungs­for­men und The­ra­pien. Der größ­te Teil der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die bis­her an der digi­ta­len Erfas­sung der ALS-FRS teil­nah­men, befand sich in einem frü­he­ren Abschnitt des Krank­heits­ver­laufs und war zum Erhe­bungs­zeit­punkt leich­ter moto­risch betrof­fen (Abbil­dung 3).

Abbil­dung 4: Ansicht der ALS-App. Die Smart­phone-Appli­ka­ti­on ermög­licht die digi­ta­le Erhe­bung der ALS-Funk­ti­ons­ska­la und errech­net die Pro­gres­si­ons­ra­te.



Um Inter­es­sier­ten eine erleich­ter­te Teil­nah­me an der Online-Selbst­be­wer­tung zu ermög­li­chen wur­de die „ALS-App“ ent­wi­ckelt (Abbil­dung 4). Über die „ALS-App“, als niedrig­schwellige Anwen­dung, kön­nen ALS-Pati­en­tin­nen und ‑Pati­en­ten direkt über ihr Smart­phone oder Tablet auch von unter­wegs an der Online-Bewer­tung teil­neh­men und ihren aktu­el­len Krankheits­status tei­len. Die „ALS-App“ wur­de im Febru­ar 2020 fer­tig­ge­stellt und wird der­zeit von mehr als 500 Men­schen mit ALS genutzt. Auch im inter­na­tio­na­len Maß­stab nimmt die ALS-App eine füh­ren­de Rol­le ein, da sie die (der­zeit) ein­zi­ge Smart­phone-Appli­ka­ti­on dar­stellt, die eine digi­ta­le Erfas­sung des ALS-FRS ermög­licht und über die gän­gi­gen App-Platt­for­men (Goog­le Play und Apple App Store) ver­füg­bar ist.

Nut­zen des Pro­jek­tes

Nut­zen für teil­neh­men­de Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten
Teil­neh­men­de kön­nen den aktu­el­len Krank­heits­ver­lauf über die eige­ne Online-Erhe­bung der ALS-Funk­ti­ons­ska­la selbst­stän­dig erfas­sen. Die Online-Selbst­be­wer­tung stärkt die Pati­en­ten­au­to­no­mie (Empower­ment). Dar­über hin­aus ermög­licht sie eine Ein­sicht in den indi­vi­du­el­len Krank­heits­ver­lauf als auch die Ein­schät­zung der indi­vi­du­el­len ALS-Pro­gres­si­ons­ra­te (indi­vi­du­el­le Abnah­me der ALS-FRS Punk­te).

Nut­zen für ALS-Zen­tren
Die digi­ta­le Erfas­sung des ALS-FRS ermög­licht eine ge­nau­ere Erfas­sung des Krank­heits­ver­laufs und unter­stützt eine geziel­te­re Ver­sor­gung. Übli­cher­wei­se erfolgt die Er­fassung alle 3 bis 4 Mona­te wäh­rend der ambu­lan­ten Visi­te. Durch die Online-Selb­st­­be­­wer­­tung wird min­des­tens ein Erhe­bungs­zeit­punkt (Daten­punkt) zusätz­lich zur Erfas­sung wäh­rend der ambu­lan­ten Visi­te geniert. Dies führt zu einer Ver­dopp­lung der Daten­dich­te als auch zu einer prä­zi­se­ren Abbil­dung des Krankheits­ver­laufs. Die­se prä­zi­se­ren Daten ver­bes­sern die Ent­schei­dungs­grund­la­ge für die situa­ti­ons­ge­rech­te Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung, Beatmungs- und Er­näh­rungstherapie.

Bei­trag zum Fort­schritt der ALS-For­schung
Die ALS-FRS ist der haupt­säch­li­che End­punkt für sämt­li­che kli­ni­sche Stu­di­en im in­ter­nationalen Maß­stab. Die Schaf­fung einer digi­ta­len Kohor­te ist von erheb­li­chem Vor­teil, um The­rapieeffekte früh­zei­tig zu erken­nen. Durch die brei­te Anwen­dung von Online-Ratings tra­gen auch die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zu kli­ni­schen Stu­di­en bei, die sonst regio­nal-bedingt nicht an kli­ni­schen Stu­di­en teil­neh­men könn­ten. So kön­nen Stu­di­en­teil­neh­men­de in gro­ßer Distanz zu einem ALS-Zen­trum die ALS-For­schung unter­stüt­zen, indem ihr Online-Rating von zuhau­se aus rea­li­siert wird (For­schung von zuhau­se aus). Durch das Pro­jekt konn­te bereits im aktu­el­len Sta­tus des Vor­ha­bens die umfang­reichs­te digi­ta­le ALS-Kohor­te in Euro­pa geschaf­fen wer­den, die über den digi­ta­len ALS-FRS Fra­ge­bo­gen ihren ALS-Krank­heits­ver­lauf bewer­tet.

Aus­blick

Die digi­ta­le Selbst­be­wer­tung des ALS-FRS bedeu­tet eine Unter­stüt­zung von kli­ni­scher For­schung als auch The­ra­pie­stu­di­en. Sie bil­det wei­ter­hin die Basis für eine Algo­rith­men-Ent­wick­lung in der Ver­sorgung mit Hilfs­mit­teln und Heil­mit­teln sowie der Initi­ie­rung von Beatmung- und Ernährungs­the­rapie. Durch Ver­sor­gungs­al­go­rith­men sol­len Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten eine bedarfs­ge­rech­te­re und bes­ser abge­stimm­te Ver­sor­gung erhal­ten. Die Algo­rith­mus-Ent­wick­lung ist ein Ziel der zukünf­ti­gen medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung bei der ALS. Aktu­ell sind die Ver­sor­gungs­pro­zes­se noch frag­men­tiert, inef­fi­zi­ent und wenig repro­du­zier­bar. Die erhal­te­nen Daten der online-Selb­st­­be­­wer­­tung sol­len struk­tu­riert wer­den. Die dabei ent­ste­hen­den Daten- und Wis­sens­ele­men­te (z. B. Ver­lust der Sprach­funk­ti­on) flie­ßen in einen Ver­sor­gungs­al­go­rith­mus (z. B. Versor­gungs­bedarf einer Kom­mu­nikationshilfe) ein (Abbil­dung 5). Dadurch sol­len prä­zi­se Ver­sor­gungs-Algo­rith­men be­reit­gestellt und die Ent­schei­dungs­fin­dung von spe­zia­li­sier­ter Ver­sor­gung unter­stützt wer­den: Da­mit Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit ALS eine bedarfs­ge­rech­te und abge­stimm­te Ver­sor­gung erhal­ten.